Vor einigen Monaten habe ich schon mal ein ähnliches Thema gebloggt. Die Thematik hat mich allerdings nicht losgelassen, deshalb möchte ich da gerne noch einmal drüber schreiben. Wer den besagten
Blog Tödliche Traurigkeit nicht gelesen hat – Im März nahm sich eine Freundin von mir das Leben. Sie war 33 Jahre alt – so alt
wie ich – und sie konnte mit ihren Depressionen nicht mehr leben. Burnout und Depressionen sind die neuen Schlagwörter unserer Gesellschaft, doch ich glaube, die wenigsten
machen sich eine genaue Vorstellung davon, was diese Begriffe bedeuten. Damit meine ich nicht deren Definition. Sondern was sie für den Menschen bedeuten, den es trifft. Als selbst
Betroffene kann ich bestens beschreiben, wie sich eine Depression anfühlt und wenn sie dich gepackt hat, wird das Entkommen enorm schwer. Es fühlt sich an, als ob du dieser Krankheit mit 200
Sachen davonfahren willst, die bereits hupend und blinkend an deiner hinteren Stoßstange klebt. Die Straße ist vereist und du kannst nur darum beten, dass du nicht die Kontrolle verlierst.
Gleichzeitig wird dir klar, dass du schon längst keine Kontrolle mehr hast.
Ich bin schon oft gefragt worden, wie sich eine Depression anfühlt. Sicher haben Sie schon Harry Potter gelesen? frage ich mein Gegenüber dann meist. Die meisten nicken. Besser als
mit der Wirkung eines Dementors kann man die Depression eigentlich nicht beschreiben. erkläre ich dann: Sie saugen alles Glück aus der Welt und dir bleibt nichts, als deine schlimmsten
Erinnerungen. Hoffnung auf Besserung? Nein...
Es ist schwierig, seelische mit körperlichen Krankheiten zu vergleichen, aber es ist so enorm wichtig. Durch den Tod meiner Bekannten ist mir wieder einmal klar geworden, das nicht nur
Krebspatienten sondern auch depressive Menschen jeden Tag auf's Neue um ihr Leben kämpfen. Und das manche diesen Kampf verlieren... Auch wenn die Depression mit bildgebenden Verfahren nicht
darstellbar ist, so ist sie doch vorhanden und lebt in manchen von uns wie eine tickende Zeitbombe. Auch in mir...deshalb gestatte ich mir diesen Gedanken auch eher selten. Er macht mir Angst.
Angst, wann es bei mir soweit ist... Dass das Leben unerträglich wird, dass das Kämpfen sinnlos wird... Und doch – auch wenn ich diese Gedanken gerne ausblende – wird mir deutlich bewusst, das
auch in mir diese Zeitbombe tickt, die jederzeit hochgehen könnte. Gerade dann, wenn ich wieder eine Bekannte oder Freundin an diese heimtückische Krankheit verliere oder es mir gelingt, einen
Suizidversuch zu verhindern. Dann wird mir bewusst, dass auch ich jeden Tag um mein Leben kämpfe.
Wenn ich in Gesprächen von Leuten erfahre, die den Krebs besiegt haben, oder noch damit kämpfen, höre ich immer Achtung in den Stimmen der Leute, die mir davon erzählen. Und ich habe auch
Hochachtung vor diesen Leuten. Doch wie anders ist die Resonanz, wenn sich jemand aufgrund von psychischen Problemen das Leben nimmt. Der hätte sich mehr bemühen müssen, höre ich dann
oder noch schlimmer: Sich wegen so einer Lappalie gleich umzubringen, es gibt doch genug Medikamente dagegen. Gern auch: Er hatte es doch gut im Leben, ihm fehlte es doch an
nichts. Das zu hören tut mir weh...sehr weh.
Suizid... Vor 10 Jahren war das auch für mich nur ein Begriff...etwas das anderen passierte. Natürlich stellte ich mir manchmal die Frage, wie verzweifelt ein Mensch
sein musste, der nur noch diesen Ausweg sah. Aber es betraf eben...andere... Ich lese viel und diesen Satz findet man in den meisten Lebensberichten. Man rechnet nie damit, dass es irgendwann mal
einen selbst trifft. Mir ging es da ganz ähnlich. In meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin hatten wir natürlich auch Vorlesungen in Psychiatrie und Krankheitsbilder wie Depressionen,
Borderline-Persönlichkeitsstörungen und multiple Persönlichkeitsstörung trafen meine Ohren. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, wie es ist, so etwas zu erleben. Doch
zweifellos hatte ich es damals schon in mir getragen ohne es zu wissen. Als die Krankheit wenige Jahre später bei mir selbst ausbrach, war ich ihr dennoch hilflos ausgeliefert...mehr noch – meine
Ärztin damals sagte zu mir, dass es für mich noch viel schwieriger werden wird, da ich zu viel über diese Krankheitsbilder wüsste. Ich muss sagen, sie hatte Recht. Ich wusste, das schwere
Depressionen kaum heilbar waren und die Borderline-Persönlichkeitsstörung noch viel schwieriger... Diesem Jahr folgten zahlreiche Suizidversuche, doch ich überlebte sie alle. Aber ich weiß, wie
es sich anfühlt, jeden Tag um sein Leben zu kämpfen. Ich weiß, wie sich die Sinnlosigkeit anfühlt, in der dein Leben versinkt. Dennoch sage ich: Der Kampf lohnt sich! Er ist jede einzelne
Sekunde wert! Jedes Lächeln, jedes Lachen, jedes Sich wohlfühlen.
Auch ich war mehrmals an dem Punkt, an dem alles so sinnlos war, das ich nur noch an das eine dachte. Und ich kann nachvollziehen, das niemand, der gerade an diesem Punkt ist, meinen Gedanken
teilen kann. Dennoch möchte ich ihn euch auf eurem Weg mitgeben: Kämpft, solange ihr könnt. Das Leben besteht aus mehr als Leid und Schmerz!
Ich verurteile niemanden, der sich das Leben nimmt...ich kann es gut verstehen. Wer weiß, ob ich nicht auch irgendwann wieder an diesem Punkt ankomme... Aber für mich hat es sich vorerst gelohnt
zu kämpfen. Ich habe endlich meinen Weg gefunden – The Work.
Auch über diese Methode werde ich noch öfter hier berichten. Sie hat mir aus der schweren Zeit rausgeholfen und seit dem ich die regelmäßig betreibe, mit oder ohne meinen Coach Ina
Rudolph (www.inarudolph.de), bin ich zwar immer mal wieder down, musste aber seitdem nicht wieder in die
Klinik zur Krisenintervention. Und das bedeutet für mich schon ganz, ganz viel!
Ich will es euch nicht vorenthalten – mir liefen bei diesem Blog pausenlos die Tränen beim Schreiben. Mich lässt dieser Post nicht kalt – im Gegenteil. Es ist vermutlicher der ehrlichste Blog,
den ich bisher online gestellt habe. Dennoch möchte ich ihn aus genau diesem Grund für alle zugänglich machen. Ich will mich nicht mehr hinter Konventionen verstecken. Das Leben mit psychischen
Problemen ist hart, nicht nur weil es immer noch viel zu viele Klischees darüber gibt, sondern weil es immer noch eine Diskrepanz zwischen nachweisbaren und nicht nachweisbaren Erkrankungen gibt.
Weil – und ich sprech' das jetzt mal ganz offen aus – immer noch ein großer Unterschied gemacht wird zwischen physischen und psychischen Erkrankungen. Einer der die Chemo übersteht wird mehr
„gefeiert“ als einer, der sich in therapeutische Behandlung begibt. Als ich das erste Mal stationär in die Uni kam und wegen akuter Suizidgefahr auf der Geschlossenen landete, trennte sich das
Spreu erstmals vom Weizen. Ich wusste, wer immer noch an meiner Seite stand und wer nicht. Wer dachte, ich würde vielleicht aufgrund meiner psychischen Störung irgendwann mal bei ihm mit der Axt
vor der Tür auftauchen, und wer mich ein bisschen verstand. Wer verstand, dass ich keine Gefahr für ihn darstellte sondern nur für mich selbst. Diese Menschen sind bis heute meine Freunde...alle
anderen brauchte ich nicht. Sie haben mir das Gefühl gegeben, trotz allem ein Mensch zu sein. Sie gaben mir das Gefühl, wichtig zu sein. Sie waren an meiner Seite und waren bereit mit mir – und
wenn ich nicht mehr konnte – für und um mich zu kämpfen. Dafür bin ich ihnen bis heute dankbar. Jedem einzelnen...und ich werde nie vergessen, was sie für mich in diesen dunkelsten Stunden getan
hatten.
Mit dieser Botschaft möchte ich diesen Blog auch beschließen:
Liebe Familie, Angehörige und Freunde. Auch wenn wir aufgrund unserer psychischen Erkrankungen manchmal schwer zu verstehen sind...wir sind dennoch die Gleichen geblieben. Ob wir
aggressiv werden, uns verletzen oder uns das Leben nehmen, wir sind die gleichen Menschen. Etwas ist in unserem Leben passiert – etwas, das wir selbst nicht so recht verstehen. Etwas, das uns den
Sinn am Leben genommen hat. Wir wollen euch mit unserem Verhalten nicht verletzen – jemandem weh zu tun liegt uns fern. Dennoch ist uns bewusst, das euch manche unserer Entscheidungen verletzten.
Das ihr euch, wenn ihr nach unserem Tod zurückbleibt, fragt, was ihr falsch gemacht habt. Ihr habt GAR NICHTS falsch gemacht! Die psychischen Erkrankungen sind genauso tödlich wie physische
Krankheiten, z.Bsp. ALS, MS und Krebs. Da fragt ja auch niemand die Angehörigen nach den Gründen. Bei den psychischen Krankheiten ist das nicht anders...sie sind halt nur nicht
so sichtbar zu machen wie Nervenschädigungen und Tumore. Dennoch machen sie uns völlig machtlos und lassen uns am Boden zerstört zurück. Wenn die Krankheit droht uns die letzte Würde zu nehmen,
entscheiden wir uns eben manchmal dafür, uns das nicht aus der Hand nehmen zu lassen.Und wenn es das Letzte ist, was wir tun...
Mir war es sehr wichtig, das mal so deutlich zu formulieren, auch wenn es vielleicht krass rüber kommt. Es ist die Gedankenwelt in der wir leben. Wenn wir uns entscheiden, zu sterben und euch
zurückzulassen, ist das keineswegs eine egoistische Entscheidung. Im Gegenteil, wir empfinden uns als unzumutbare Last und der Suizid ist unser Weg, euch nicht mehr mit unserer Anwesenheit zu
belasten. Wir haben bis zu unserem letzten Atemzug nur diesen einen Gedanken – niemandem mehr zur Last zu fallen.
Liebe Grüße
Steffi
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