Ihr Lieben,
die meisten Unfälle passieren im Haushalt, so sagt man. Man schneidet sich beim Gemüse putzen oder wenn im Abwasch ein Glas zu Bruch geht. Man verbrennt sich an der heißen Herdplatte oder dem
Bügeleisen. In der Regel schenken wir dem wenig Beachtung, wir kleben ein Pflaster drüber oder tragen eine Creme auf – fertig. Die Wunden, die sich Menschen durch S*lbstv*rl*tz*ng beibringen,
sehen im Grunde nicht anders aus. Und trotzdem reagiert das Umfeld meist mit Unverständnis. Für Außenstehende ist es sicher schwierig nachzuvollziehen, warum wir uns freiwillig Schmerz zufügen,
aber da steckt eine große Motivation dahinter.
Wenn ihr in einem See schwimmen gehen wollt und das Wasser euch zu kalt ist, überlegt ihr es euch vielleicht nochmal und lasst es bleiben. Aber was, wenn ihr
einen Menschen vor dem Ertrinken bewahren wollt. Dann stürzt ihr euch ins Wasser, ohne darüber nachzudenken und merkt vermutlich nicht einmal, dass das Wasser kalt ist. Die Priorität hat sich
geändert, euer Handeln könnte ein Menschenleben retten. Ähnlich ist es auch beim Selbstverletzenden Verhalten. Wir gehen weit über unsere Schmerzgrenze hinaus, um innere Gefühle zu
betäuben.
Durch die körperliche Verletzung schaffen wir uns symptomatisch Abhilfe von Kummer und Schmerz. Es mag paradox klingen, Schmerz mit Schmerz zu behandeln, aber genau das ist das Ziel. Wir sind
häufig nicht in der Lage unseren inneren Schmerz in Worte zu fassen. Wir ziehen uns zurück und geben alle realen emotionale Bindungen teilweise oder ganz auf.
Ich vermute, dass die Sätze wie: Das wird schon wieder oder Warum tust du dir das an, die wir oft zu hören, damit
zusammenhängen, das Außenstehende sich überfordert und hilflos fühlen in diesen Situationen. Ich habe mal ein paar Punkte zusammengefasst, die uns Betroffenen, aber vielleicht auch euch als
Außenstehende helfen, besser mit solchen Situationen umzugehen.
1. Selbstverletzendes Verhalten (SVV) nicht ignorieren. Auch wenn wir in dem Moment vielleicht signalisieren, das wir nicht darüber sprechen wollen, heißt das nicht, das wir nie darüber reden
wollen. Bitte bleibt gesprächsbereit, ohne uns zu bedrängen. Ich weiß, das ist manchmal eine Gratwanderung, aber manchmal ist das, was wir brauchen einfach Zeit.
2. Das ihr uns immer Rückhalt gebt und wir uns auf euch verlassen können, dass ihr SVV ernst nehmt und nicht als Marotte abtut.
3. Wenn du damit nicht aufhörst, dann... oder Wieso tust du mir das an? Setzt uns nur noch weiter unter Druck, als wir ohnehin schon stehen. Bitte redet uns wegen unserem autoaggressiven
Verhalten keine Schuldgefühle ein. Das können wir ganz prima selbst...
4. Bitte respektiert unsere Privatsphäre, auch wenn unser Wunsch, allein zu sein, nicht oder nur schwer nachvollziehbar ist
5. Versucht, dass das Leben normal weitergeht. Wir sind keine anderen Menschen, weil wir uns selbst verletzen – wir sind trotzdem noch die selben. Die meisten von uns möchten nicht, dass ihr da
ein großes Drama draus macht, aber auch nicht, das ihr es als Kleinigkeit abtut.
6. Manchmal kann es gut sein uns einfach mal in den Arm zu nehmen, es kann aber passieren, dass wir diese Nähe ablehnen.
7. Schön ist es auch, wenn wir fühlen, dass ihr euch für unser Leben interessiert und mal nachfragt, was denn passiert ist oder in welchen Situationen wir uns verletzen. Nur über das Wie reden
wir nicht gerne...
8. Bitte keine Allgemeinplätze, wie Das geht wieder vorbei oder Jedem geht’s mal schlecht Diese Sätze verletzen uns psychisch, denn SVV ist mehr als ein Stimmungstief
9. Wenn irgend möglich, schreit bitte nicht herum, auch wenn ihr euch in diesen Situationen begründeterweise aufregt. Die Lautstärke verunsichert uns und könnte eine erneute S*lbstv*rl*tz*ng
auslösen.
10. Bitte macht über das, was wir sagen, keine dummen Witze, auch wenn es als Scherz gemeint ist. Wir fühlen uns ohnehin leicht verletzt und würden das sofort negativ auf uns beziehen.
11. Sprecht bitte offen mit uns über eure Ängste und Probleme mit dem SVV, stellt aber klar, das wir keine persönliche Schuld daran haben, dass es euch wegen dem SVV schlecht geht.
12. Bitte zeigt Verständnis für unser Handeln. Uns Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel, Salben u.ä. bereitzustellen ist sinnvoller, als uns Rasierklingen und Messer wegzunehmen. Dadurch können
wir das SVV auch nicht verhindern.
13. Holt euch bitte selbst Hilfe, wenn ihr merkt, dass unser SVV euch zu schaffen oder sogar depressiv macht. Dann könnt ihr euch mit jemandem austauschen, wenn ihr nicht wisst, wie ihr mit dem
SVV umgehen sollt.
Wichtig ist, das Betroffene sich klar machen, das das SVV zwar eine kurzfristige Lösung bieten kann, da Schmerz und der Anblick des eigenen Blutes die Heftigkeit der Gefühle übertreffen können,
aber das es keineswegs eine Dauerlösung ist.
Liebe Grüße
Steffi
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