Was macht das Leben lebenswert?

Was macht das Leben lebenswert?

Mit diesem Satz beschäftige ich mich sehr oft. Sei es, wenn ich ihn mit Freunden diskutiere oder in Zeiten, in denen mir meine Depressionen mal wieder den Boden unter den Füßen wegziehen.

Wann ist ein Leben lebenswert? Vor zehn Jahren hätte ich darauf vermutlich die Antwort gegeben: „Wenn man gesund ist, Arbeit hat, Geld verdient, sich etwas leisten kann, nicht so viele Sorgen hat.“ Das waren meine Vorstellungen eines ganz normalen Lebens. Und vor zehn Jahren war das bei mir auch noch so. Ich war gesund (zumindest äußerlich), hatte einen gut bezahlten Job, einen tollen Mann und wenig Sorgen. Zwei Jahre später wendete sich das Blatt...ich verlor meine Gesundheit und meinen Job. Aus heiterem Himmel bekam ich Kopfschmerz-Attacken, die binnen zwei Wochen zum Dauerzustand wurden. Hinzu kamen Depressionen und Filmrisse ungeklärter Ursache, die meist mit S*lbstv*rl*tz*ng endeten. Ich rannte mit den Kopfschmerzen von Arzt zu Arzt und jeder vermutete etwas anderes: „Spannungskopfschmerzen, Migräne und Langeweile“ waren die Top drei der ärztlichen Äußerungen. Ich nahm Massagen, Cranio-Sacrale Therapie, Manuelle Therapie und Akupunktur in Anspruch - ohne Erfolg. Erst vor zwei Jahren traf ich auf eine Neurologin, die zu wissen schien, was mir fehlte. Sie verschrieb mir ein Medikament namens Indometacin. Ich konnte es kaum glauben - hatte ich endlich etwas gefunden, das mir die Schmerzen erleichterte? Ich hatte...doch dieses Mittelchen hatte eine Reihe sehr unangenehmer Nebenwirkungen im Gepäck: Übelkeit bis hin zu Erbrechen, Schwindel und Krampfanfälle (ähnlich wie bei Epilepsie). Da dieses Medikament jedoch anschlug und bis heute leider auch das Einzige ist, was bei dieser Schmerzform wirksam ist, stand ich nun vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Ich entschied mich für den Mittelweg. Ich schraubte die Dosis soweit herunter, dass ich mittlerweile nur noch selten krampfe, was aber gleichzeitig bedeutet, das die Schmerzen manchmal unerträglich sind.

Ist mein Leben deshalb nun weniger lebenswert? Anfangs dachte ich das. Ich verfluchte die Schmerzen, die mir den Schlaf raubten und ich verfluchte das Indomet von der ersten Minute an, weil es mich schwach und hilflos machte. Alles andere drum herum versank in Gleichgültigkeit - jedoch nicht allzu lange. Nachdem ich genug vom Jammern hatte, begann ich die Zeit zwischen den Medikamenteneinahmen besonders zu genießen. Immer wenn es mir halbwegs gut ging, versuchte ich, die Dinge zu machen, die ich gern tat und die mir die Kraft gaben, den nächsten Kampf gegen Übelkeit und Schmerzen zu überstehen. Und inzwischen habe ich sogar gelernt, die Situationen zu schätzen, in denen ich keine Termine habe und einfach liegen bleiben kann, wenn mich das Indomet mit Übelkeit, Schwindel und Krampfanfällen quält. Ich habe gelernt, mich mit Hörbüchern, Musik und lustigen Videos abzulenken, um mir die Zeiten in denen es mir schlecht geht etwas angenehmer zu machen. Obwohl ich mir vor zehn Jahren nicht vorstellen konnte, einmal acht Jahre lang mit täglichen und manchmal kaum erträglichen Kopfschmerzen zu leben, halte ich es aus. Jeden Tag aufs Neue. Ich will euch nichts vormachen - natürlich gibt es Momente, in denen ich fast verzweifle, in denen ich früh nicht aus dem Bett komme und meine, es keinen weiteren Tag überstehen zu können. Auch hier hilft mir ein Teil aus der WORK sehr: Ich denke einfach an die vielen anderen Tage, an denen ich das schon gedacht habe und die ich trotzdem überstanden habe. Danach geht es mir meist besser und ich bin bereit, den Kampf wieder aufzunehmen.

Ist das Leben lebenswert? JA, das ist es. Ich schätze nun die Kleinigkeiten viel mehr und nutze jede Gelegenheit dazu, mir zu gestatten, auch mal albern sein zu dürfen. Jedes Lachen, jedes Gespräch, (fast) jeder Gedanke sagt mir, dass das Leben so viel mehr zu bieten hat als Depressionen, Schmerzen und Leid. Es ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich, zu kämpfen.

 

Liebe Grüße

Steffi


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