Was wir müssen...

Seit zwei Wochen denke ich, ich muss endlich meinen neuen BLOG schreiben. Aber mein gesundheitlicher Zustand hat mich nicht gelassen. Und muss der neue BLOG denn wirklich zu einem bestimmten Zeitpunkt erscheinen. Reicht es nicht, dass er überhaupt erscheint? Ich hoffe es...

Ich muss pünktlich sein. Ich muss zuverlässig sein. Ich muss Geld verdienen. Ich muss mein Leben im Griff haben. Ich muss...ich muss..ich muss...Muss ich?

In den letzten Wochen wurde ich immer wieder mit diesen Sätzen konfrontiert. Früher glaubte ich auch zu müssen. Ich wurde dazu erzogen, immer pünktlich und zuverlässig zu sein. Ich wurde dazu erzogen, mit 18 zu wissen, wie mein künftiger Lebensweg aussehen wird. Ich entschied mich halbherzig für einen Beruf, weil ich eine Ausbildung machen musste. Danach fing ich sofort an zu arbeiten, denn ich musste auf eigenen Beinen stehen.
Als mich die Depression 2006 mit voller Wucht erwischte, glaubte ich funktionieren zu müssen. Ich kam aus dieser Tretmühle einfach nicht mehr raus. Ich hatte das Gefühl, mitten im Sturm zu stehen und diesen kontrollieren zu müssen. Doch das war schlichtweg nicht möglich! Zum ersten Mal stand ich vor einer Situation, in der mich das Müssen absolut nicht weiterbrachte. Mein Konstrukt, an dem ich mich bis dato festgehalten hatte, funktionierte nicht mehr. Dennoch versuchte ich, mit Hilfe zahlloser Therapien, die Krankheit unter Kontrolle zu bringen.

Ich brauchte lange, um zu verstehen, das die Kontrolle nicht der Weg aus der Depression war – sondern geradewegs hineinführte. Mit Hilfe der WORK lernte ich nach und nach, Kontrolle abzugeben und mir und dem Leben zu vertrauen. Ich kann nicht sagen, dass die Depressionen weg sind, aber ich kann deutlich besser mit ihnen umgehen.

Wie wäre es denn, das Wort MÜSSEN durch MÖCHTEN zu ersetzen?

Ich möchte pünktlich sein. Ich möchte zuverlässig sein. Ich möchte Geld verdienen. Ich möchte mein Leben im Griff haben.

Das fühlt sich doch gleich viel freundlicher an, oder? Nachsichtiger mit sich selbst und auch nachsichtiger mit anderen. Ich möchte pünktlich sein, weil ich mein Gegenüber nicht gerne warten lasse. Aber wenn ich eben doch mal zu spät komme, ist das nicht der Weltuntergang. Ich möchte zuverlässig sein – Ja, gerne! Aber nicht um jeden Preis Wenn ich dabei auf meine Bedürfnisse achte, bin ich auch zuverlässig. Zuverlässig mir selbst gegenüber.

Wenn mich am Montag morgen der Wecker aus dem Schlaf reißt und ich in die Uni zur wöchentlichen Blutuntersuchung muss, spüre ich auch fast immer ein kurzes „MUSS“. Aber ich möchte auch dahin, denn ich möchte wissen, was in meinem Körper vor sich geht. Ich möchte wissen, wie es um mich steht und was die Ärzte für mich tun können. Denn ich möchte leben! Und es ist angenehmer, mit einem Möchte im Hinterkopf aufzustehen als mit einem Muss.

 

Liebe Grüße

Steffi


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